Ein Artikel von Hannah Grewe
War er einst ein Nutztier, ist er heute ein enger Begleiter und unübersehbarer Bestandteil unserer Gesellschaft. Der Hund. Das Zusammenleben zwischen Menschen und Hunden hat sich im Laufe der Zeit verändert. Erst vor etwas über 150 Jahren begannen die Menschen damit, aus den lokalen Dorfhunden definierte Rassehunde zu züchten. Sie etablierten sich immer mehr in unser Familienleben und auch das Miteinander von Kindern und Hunden veränderte sich.
Vor drei Jahrzehnten war es noch selbstverständlich, dass sich das zwölfjährige Mädchen ihr Taschengeld durch Spaziergänge mit dem Riesenschnauzerrüden der Nachbarin verdiente. Heute schreien die Gemüter auf. Zu Recht? Lag ein Hund mit einem Knochen auf dem Hof, wusste das Kind, dass es besser Abstand halten sollte. Der Unterschied zu heute mag sein, dass es nicht die Eltern waren, die es dem Kind immer wieder eintrichterten. Es war der Hund, der dem Kind mit drohendem Blick und angespannter Körperhaltung signalisierte, dass es nicht dichter kommen sollte.
Beobachtet man diese Szenen dreißig Jahre später, hagelt es Vorwürfe. Unzählige Regelwerke für Kinder werden Eltern an die Hand gegeben. Ganze Bücher darüber geschrieben wie Kinder und Hunde am besten zum Dreamteam werden.
Doch warum ist das so? Vielleicht weil ein Schnauzer heute kein Schnauzer mehr ist? Weil es dem Kind gar nicht mehr gelingen kann, so gern es doch wollte, die Körpersprache der Bulldogge, mit der viel zu platten Schnauze und fehlender Rute, rechtzeitig zu erkennen? Nicht nur unser Zusammenleben hat sich geändert, sondern auch unsere Hunde haben sich verändert. Wir haben sie verändert und müssen nun auch mit den Konsequenzen leben. Wir sind in der Pflicht, unsere Kinder im Umgang mit Hunden zu begleiten, sie anzuleiten und den Hund so zu halten, dass von ihm keine Gefahr ausgeht. Der Schutz sowohl des Kindes als auch des Hundes, stehen an erster Stelle.
Eine normale Situation die, sowie von den Eltern als auch von den Hundehaltern, im Blick behalten werden sollte.
Der Hund – das neue Familienmitglied. Dessen Hundebett mindestens genauso teuer wie das des Kindes ist. Über dessen Ernährung sich im Zweifel mehr Gedanken gemacht wird als über die des Kindes. Der Hund nimmt in unserer heutigen Gesellschaft mittlerweile einen Stellenwert ein, den es zu hinterfragen gilt. Kommt es zu einem Beißvorfall, sind die Kinder selber Schuld. Doch sind es die Kinder, die es soweit haben kommen lassen? Oder sind es die Eltern? Die einfach nicht so gerne Grenzen setzen wollen. Denen es schwer fällt „Nein“ zu sagen und noch schwerer fällt, ihr „Nein“ auch durchzusetzen. In der Regel schon. Da sieht man Kinder, die Hunden an der Rute ziehen, während lautes Gelächter hinter der Kamera ertönt. Man sieht Hunde, die keine Möglichkeit haben sich zurückzuziehen, weil der Familienhund schließlich immer dabei ist.
Doch wir wissen: es geht auch anders.
Kinder lernen viel durch den Umgang mit Hunden. Sie lernen, wie ein Hund auf ihr Verhalten reagiert. Sie lernen ein anderes Lebewesen zu verstehen, zu respektieren und Verantwortung zu übernehmen. Voraussetzung dafür ist ein pflichtbewusster Umgang der Eltern mit Kind und Hund. Sie haben ihren Kindern Werte und Normen sowie die Bedürfnisse des Hundes zu vermitteln. Sie haben einen empathischen Umgang mit dem Hund, der seine eigene Persönlichkeit hat, um den wir uns kümmern und sorgen, wenn er krank ist, vorzuleben. Sie müssen deutlich machen, dass es weh tut, wenn man an der Rute des Hundes zieht und dass er, wie wir alle, mal seine Ruhe braucht und gleichzeitig regelmäßig raus muss.
Hunde richtig anfassen. Auch das will gelernt sein.
Hunde haben auf vielfältige Weise eine positive Wirkung auf Kinder.
Sie stärken das Selbstvertrauen, fördern die soziale Interaktion und tragen unter anderem zum psychosozialen Wohlbefinden bei. Damit sind sie vor allem für Kinder wertvolle Begleiter. So werden Hunde auch im Rahmen der tiergestützten Intervention immer beliebter und für viele ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil. Die Einsatzmöglichkeiten des Hundes sind vielfältig.
Sie unterstützen in Kindergärten und Schulen. Der Schulhund trägt zu einem verbesserten Klassenklima bei und motiviert beim Lernen. Der Therapiebegleithund vermittelt unter enger Anleitung des Therapeuten Sicherheit und reduziert Stress und Angst. Auch in der Kinder- und Jugendhilfe werden Hunde vermehrt eingesetzt. In Zusammenarbeit mit Sozialpädagogen und -pädagoginnen werden unter Anderem soziale Beziehungen bei Kindern und Jugendlichen individuell verbessert.
Der Therapie(begleit)hund. Ein Begriff der leider häufig unwissend für den Familienhund verwendet wird. Dahinter steckt jedoch weitaus mehr.
Es scheint so, als gehe der Trend dorthin, genau diese Fähigkeit der Hunde in den Familienalltag zu integrieren. Fast wirkt es so, als seien Hunde ein Allheilmittel. So hört man aus vieler Munde, dass selbst die wildesten Kinder durch die bloße Anwesenheit des Hundes ruhig und entspannt werden. Ein Trugschluss.
Doch viele Eltern erhoffen sich genau das. Die Vorstellung des perfekten Familienhundes, der gemeinsam mit den Kindern auf dem Teppich liegt, im Garten tollt oder die Kinder in den Schlaf begleitet, ist allzu verlockend. Unsere Familienhunde sind nicht selten großen Erwartungen ausgesetzt. Wahre Multitalente sollen es sein, die einiges aushalten müssen. Es ist den Familien nicht zu verübeln. Der Druck ist hoch, schließlich wird bei Facebook und Instagram hinter schönen Filtern das harmonische Familienbild verkörpert. Lachende Kinder, gut erzogene Hunde, glückliche Eltern. Das ist der Wunsch, den wir Eltern haben.
Der Familienhund – auf ihm liegen meist große Hoffnungen.
Die größten Enttäuschungen haben ihren Ursprung in zu großen Erwartungen.
Wir vergessen in der heutigen Zeit gerne, dass Hunde zwar Mitglieder unserer Familie sind, jedoch immer noch Hunde bleiben und ein Recht darauf haben, ein Hund sein zu dürfen. Menschen wundern sich, dass der hübsche Weimaraner die Katze töten möchte, der süß guckende Border Collie die Kinder beim Fußballspielen hütet und der kuschelige Owtscharka keinen Besuch mehr duldet. Dabei haben sie sich doch so viel Mühe gegeben. Und das haben sie wirklich.
Sie haben von Anfang an die Hundeschule besucht. Sie haben Bücher gelesen und sehr viel Zeit in den Hund investiert – aus vollem Herzen. Und am Ende leiden sie trotzdem. Alle. Sie haben sich schlichtweg den „verkehrten“ Hund ausgesucht. Denn nicht jeder Hund eignet sich als Familienhund – egal wie viel Mühe man sich gibt. Ein Weimaraner ist ein hervorragender Jäger, einen Border toppt kaum einer, wenn es um das Hüten einer Schafherde geht und der Herdenschutzhund bewacht das Vieh und ist jederzeit dazu bereit dieses bis aufs Blut zu verteidigen.
Hunde bleiben immer noch Hunde. Genetik ist nicht zu unterschätzen und die Wahl des richtigen Hundes sollte gut überlegt sein. Gibt es den perfekten Familienhund? Ja. Wenn man die Wahl des Hundes abgestimmt auf das individuelle Familienleben, die Halterkompetenzen jedes einzelnen Familienmitgliedes, deren Bedürfnisse und Wünsche und nicht zu vergessen die Interessen des Hundes berücksichtigt, dann kann es ihn geben.
Ein Familienhund?
Und manchmal, ganz nebenbei, werden auch aus genau diesen Hunden, dem Weimaraner, Border Collie und Co, ganz tolle Familienhunde – echte Freunde fürs Leben. Denn wer wenig erwartet, bekommt vieles geschenkt. Es gibt so viele tolle Hunde, die einen verdammt guten Job an der Seite des Kindes machen. In vielen, ich würde sogar sagen, in den meisten Familien, ist der Hund eine wahre Bereicherung. Weil Mama mal eine Stunde am Tag durchatmen kann, während sie mit dem Hund durch den Wald spaziert. Weil Papa auf einmal ein neues Hobby entdeckt hat und jetzt einmal die Woche zum Mantrailen geht. Und weil die Kinder jemanden an der Seite haben, der sie so nimmt, wie sie sind. Ganz ohne Vorurteile.
Gemeinsam Abenteuer erleben. Ein Hund in der Familie kann eine große Bereicherung sein.
Und eines ist mittlerweile mehrfach bewiesen: Kinder, die mit Hunden aufwachsen, sind nicht nur gesünder, sie besitzen häufig auch einen Vorsprung in der körperlichen, geistigen, emotionalen und sozialen Entwicklung. Besonders Kinder aus herausfordernden Lebenssituationen können vom Zusammenleben mit Hund profitieren.
Sie bewerten nicht, wenn das Kind mit einer fünf in Mathe nach Hause kommt. Sie freuen sich trotzdem, jeden Tag aufs Neue. Ihnen kann man sein größtes Geheimnis anvertrauen – sie werden es niemals weiter erzählen. Mit Hunden kann man kuscheln, wenn es mit den Eltern schon längst peinlich ist. Sie sind der Fels in der Brandung. Freunde fürs Leben.
Und beide, sowohl Kinder als auch Hunde, haben es verdient, dass wir Eltern auf sie aufpassen und uns schützend vor sie stellen.
Freunde fürs Leben – das kann wirklich wahr werden
Hannah Felisa Grewe ist gelernte Ergotherapeutin und absolvierte anschließend ihr Studium Therapiewissenschaften in Hamburg. Gemeinsam mit ihrer Mischlingshündin Nuri ließ sie sich 2016 zum Therapiebegleithundeteam ausbilden. Heute arbeitet Hannah in einer Mutter-Kind-Einrichtung sowie im kooperativen Schultraining und setzt ihre Hunde dort fast täglich therapeutisch ein. Die vielfältige Wirkung, welche ihre Hunde auf die Kinder haben, löst in Hannah große Faszination aus. Der natürliche Umgang mit Hunden, welchen sie in ihrer Arbeit vermittelt, begleitet Hannah von klein auf. Sie selbst ist Mutter einer Tochter und lebt gemeinsam mit ihrer Familie in Schleswig-Holstein.
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